Vielleicht, bevor…

Es trug mich. Ich hatte nie zuvor den Rücken eines Pferdes erklommen, auf einmal ist da dieses himmlische Großgeschöpf und trägt mich durch den Fluss. Meine Füße tauchten ein, die Waden gerade benetzt. Im letzten Moment hatte ich mir Schuhe und Strümpfe ausgezogen, beides am Rucksack verstaut. Was machte ich hier? Hatte wiederholt über den Jakobsweg gelesen, war eines Morgens losgegangen, den Weg, den ich gehen wollte, vor Augen. Und dann, es mag der vierte, fünfte Tag gewesen sein, stand ich vor diesem, mir Bange machenden, tosenden Wasser. Ich setzte mich an dessen Ufer. Zu Ende?
Die Pilgerreise eines, sich keiner Religion nahe fühlenden, Ungläubigen, bevor sein Innerstes die Möglichkeit hatte zur Ruhe zu kommen? Die Tiefe des Flusses ließ sich schwer schätzen, es gab nichts, das als Vergleichsmaß taugte, die
Strömung stark. Enttäuscht, entmutigt hob ich den Blick und sah drüben einige Pferde weiden, aus deren Mitte sich eines löste und an das jenseitige Ufer trat. Der wilde Strom beruhigte sich binnen Sekunden, sodass ich zurückwich, weil er gleichzeitig an Breite gewann. Langsam durchquerte der Schimmel den Fluss, trat zu mir und hieß mich aufsitzen. Als wir gegenüber angekommen waren, wandte ich mich um, sah die Fluten sich aufbäumen, ihr Tosen erklomm mein Gehör. Ich ließ mich von Pferdes Rücken gleiten, setzte die Füße auf den staubigen Weg, durfte meine Stirn an seine legen, kurz. Ein nie da gewesenes, unbeschreibliches Glück durchströmte mich.
In diesem Augenblick wusste ich, es wird eines Tages keine Furcht mehr geben, die mich hält, zurückhält, verhindert einen Weg zu nehmen, ihn zu meinem zu machen.
Mag sein, vielleicht, bevor…

© Copyright Text Wolfgang Weiland

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