Holger und die Anderen

Mit Jemandem Freund sein. Auch so eine Redewendung. Heißt nicht, jemandes Freund sein, eher, jemandem zugetan. Ja, er hatte Menschen gekannt, denen er zugetan war. Aber jemandes Freund durfte er nie werden. War ein kleiner bebrillter Junge, der Gleichaltrige fragte, ob sie denn einmal zum Kindergottesdienst kommen wollen, weil er es nicht anders kannte. Danach hatte sich die andere Frage nicht mehr gestellt. Also die, nach Freundschaft. Nur bei Klaus war es anders. Sie trafen sich weiterhin manchmal nach der Schule. Aber nach vier Jahren war Abschied, wie es hieß, wenn seine Eltern versetzt wurden. Weit weg. War wohl zu weit weg. Es kamen bald keine Briefe mehr. In der neuen Stadt war es so wie immer, in neuen Städten, er wurde schlechter in der Schule.

Peggy

Peggy war schon dreizehn. Zwei Jahre älter. Sie kam an mehreren Nachmittagen, um mit ihm Mathematik zu üben. Er fand sie schön und bewunderte sie. Eines Morgens wollte er wie gewohnt seine Armbanduhr um sein Handgelenk legen, fand sie aber nicht. Man schob es auf seine Schusseligkeit. So bald würde er keine andere bekommen. Am Abend bat er seine Mutter um die Erlaubnis noch ein paar Minuten mit seinem Transistorgerät Radio hören zu dürfen. Es war nicht viel größer als seine Hand und hatte einen gelblich-weißen Ohrhörer. Doch, solange er auch suchte, es blieb unauffindbar. Er schlief schlecht diese Nacht.

Das Kinderheim, in dem Peggy lebte, gehörte zu der Gemeinde für die seine Eltern arbeiteten und befand sich gleich nebenan. Sein Vater, der ihm dieses Mal glaubte, dass er das Verschwundene nicht verloren hatte, ging am nächsten Tag, als er selbst in der Schule war, nach drüben. Zu Hause angekommen fand er die Gegenstände auf dem Küchentisch. Er, der doch wenig hatte, hätte nie gedacht, dass er Dinge besaß, die für andere unerreichbar schienen.

Matthias

Wegen seines Nachnamens von Klassenkameraden nur ‚Dutchie‘ gerufen, wurde Matthias für ihn ein VonderSchulenachHauseBegleiter. Genau wie Jason King aus der gleichnamigen Fernsehserie, trug Matthias langärmelige Hemden, deren Manschetten er umklappte. In seiner Erinnerung verabschieden sie sich an Schultagen vor der Haustür. Vielleicht hätte es länger gedauert, mehr als das zu werden. Drei Jahre. Dann.

Holger und die Anderen

Der Platz zwischen ihm und Rüdiger war frei und so wurde er Holgers Nebensitzer. Aus Protest und Trotz ließ er sich die Haare wachsen, bis er dazu gehörte. Auf einer Klassenfahrt floss der Alkohol in Strömen. Der Preis war ihm zu hoch.

Bis heute weiß er nicht, wie sich JemandesFreundsein anfühlt.

© Copyright Text Wolfgang Weiland

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