Er fiel mir sofort auf. Wie er da saß. Eigentlich war es mein Platz, an meinem Wohlfühlort, hier, im Lesesaal der Stadtbibliothek. Ein schwarzer Lesesessel ziemlich am Ende des Saales und in der Nähe der Zeitschriften Ablage. Unweit des Mannes nahm ich Platz, so, dass ich zumindest die gewohnte Blickrichtung hatte. Ich mochte es Richtung Eingang zu schauen und, wenn ich meinen Blick hob, über die Lektüre hinweg die Hereinkommenden zu beobachten. Er tat es mir gleich, hatte jedoch ein Skizzenbuch aufgeschlagen auf den übereinander geschlagenen Beinen ruhen, seine Utensilien lagen rechts und links neben ihm, und zeichnete. Es berührte mich ihn zu sehen, auch, weil er beim Zeichnen weinte. Die Tränen rannen das Gesicht herab, ohne sich darum zu scheren, was wohl die Leute denken mögen. Strich für Strich skizzierte er die Hereinkommenden, mal noch in der Bewegung, andere, wie sie angekommen und im Begriff waren, Platz zu nehmen. Ich war erstaunt wie er, durch einen Tränenschleier schauend, Strich um Strich und Punkt für Punkt sicher setzte. Nach einer Weile, die mir nicht lang geworden war, legte er die Stifte aus der Hand, nahm einen kleinen Pinsel auf und ließ ihn durch die Tränen waten. Es hielt mich nicht länger an meinem Platz. Ich ging zu ihm hinüber, schaute ihm über die Schulter und traute meinen Augen kaum. Obwohl ich nirgends einen Farbkasten ausmachen konnte, breiteten sich vor mir Aquarelltöne aus, wie ich sie nie zuvor gesehen hatte. Als spürte er meine Anwesenheit, sagte er: „Sie kam herein und leuchtete das Trübe des Tages hinweg“, „an unserem Tag bin ich hier und, als ob sie noch da wäre leuchtet sie für mich “. Ich schämte mich, ob meiner Schulterblicke, umso mehr, als ich gesehen hatte, dass über der so hellen Zeichnung die Ziffer 7 prangte.
Jetzt, beim Schreiben in mein zerfleddertes, schwarz-rotes Notizbuch, gehen meine Gedanken zu ihm, der mir gezeigt hat, dass Kunst, egal in welcher Form, oder von wem und wo ausgeübt, Trost zu spenden vermag.
© Copyright Text Wolfgang Weiland
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