Das kleine Leben

Hatte geträumt, ein Leben zöge vorbei. Ein pralles, volles, ganzes Leben. Kein Halbes. So ein Leben kann ja nicht vorbeiziehen, wenn ihm eine Hälfte fehlt. Er rief nach ihm, es möge doch anhalten, und ob es sich vorstellen könnte, Seines zu sein. Es hielt kurz inne, überlegte, und kam zu dem Schluss, dass es eigentlich Jedermanns Leben war. So ein Leben ist doch, wenn es neu ist, eine zarte Hülle ohne Inhalt. Vergleichbar einer Papiertüte, die erst durch das hineingeben frischen Backwerks zu einer Brötchentüte wird und man darauf zu achten hat, nicht mehr als die für Sie erträgliche Menge einzubringen. Ja, es gibt kleine und große Leben. Ein kleines Leben, dass mit wenigen Geschehnissen nur zur Hälfte gefüllt ist, kann sich bei manch weiterer, schönen Begebenheit für eine kurze Zeit verschließen, um die Wärme erst in sich zu spüren und sie dann, langsam, nach Außen weitergeben zu können. Ein großes Leben dagegen neigt dazu, so viel an Ereignissen und Eindrücken aufzunehmen, dass es übervoll wird und nicht in der Lage ist, für sich Wärme zu empfinden, geschweige denn, Sie weitergeben zu können. Ja, ich denke, ich könnte ein kleines Leben für Dich sein. Noch während er den Worten des Lebens lauschte, war ihm klar geworden, dass er ein eben-solches wollte. Eines, dass Wärme weitergeben könnte. Mit beiden Händen nahm er es behutsam auf und mit in den Tag.

© Copyright Text Wolfgang Weiland

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